„Ein wichtiges Verbindungsglied zu der Ordensgemeinschaft ist für
uns Dr. Baschnagel“, erklärte die Pfarrsekretärin. Dr. Georg Baschnagel,
pensionierter Deutsch- und Geschichtslehrer und ehemaliger Schulleiter
der Rheingauschule, erteilt zwei Mal in der Woche den Ordensleuten
ehrenamtlich Deutschunterricht. Von ihm haben sie, auf ihren Wunsch hin,
gelernt, den Rosenkranz auf Deutsch zu beten und große Teile der Texte
der Heiligen Messe auf Deutsch zu lesen und zu sprechen. Der Lehrer ist
beeindruckt von den liebenswerten, fröhlichen und gastfreundlichen
Ordensleuten aus Vietnam. „Ich finde es phantastisch, dass sich noch
Leute finden, die in diese Abgeschiedenheit gehen“, sagt er. „Das
erinnert mich an Bernhard von Clairvaux, den der Abt mit zwölf weiteren
Mönchen ausschickte, um ein neues Kloster in einem unwirtlichen Tal der
Champagne zu gründen. Clairvaux, das kommt aus dem Lateinischen, ‚clara
vallis‘, das klare Tal. Die Zisterziensermönche haben in dieser Wildnis
Kulturarbeit geleistet.“
Die Klöster, die Bernhard von Clairvaux gründete, wurden wirtschaftlich erfolgreich, das gilt auch für das Kloster Eberbach. Neben der kontemplativen Innerlichkeit erklärte Bernhard von Clairvaux die körperliche Arbeit und die Armut zu den wahren mönchischen Tugenden. Ihren erwirtschafteten Reichtum haben die Zisterzienser nicht für sich verbraucht, sondern in neue Klöster investiert. „Die Zisterzienser hatten 100 Jahre nach ihrer Gründung 700 Klöster“, erklärt Dr. Georg Baschnagel. „Ich finde es großartig, dass jetzt aus den anderen Ländern zurückkommt, was einst von Europa ausging. In Vietnam gibt es fast 1.000 Zisterzienser. Sie bringen eine alte Mönchskultur mit. Ich wünsche mir, dass das auch politisch in Rüdesheim Aufmerksamkeit findet – im Hinblick auf die Straße, die zum Kloster Nothgottes führt.“
Noch wenig Kontakt
Die schmale Straße die durch den Wald zum Kloster führt, ist voller Schlaglöcher. Schilder weisen auf die schlechte Wegstrecke und eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 20 Kilometern hin. Außer den regelmäßigen Begegnungen mit ihrem Deutschlehrer haben die sechs Zisterzienser von Nothgottes in ihrer neuen Umgebung noch nicht allzu viele Kontakte geknüpft. Mit einer Familie, die im Wohnhaus auf dem Grundstück lebt, pflegen sie eine gute Nachbarschaft, und auch mit den Franziskanern im Kloster Marienthal.
Das Bistum Limburg drückte in einer Pressemitteilung nach der Ankunft der Mönche im vergangenen Jahr seine Dankbarkeit darüber aus, dass die historische Anlage in Nothgottes nach einem Jahr Leerstand wieder mit Leben und liturgischem Gebet erfüllt werde. Das Kloster und die Wallfahrtskirche könnten für die Menschen in der Region wieder ein besonderer geistlicher Ort werden, hieß es. Für die Ordensgemeinschaft in Nothgottes ist der Generalvikar des Bistums Limburg zuständig. Diese Stelle ist jedoch vakant. Auf die Anfrage, ob und welche Art von Zusammenarbeit es mit der Ordensgemeinschaft in Nothgottes gibt, antwortete der Rheingauer Bezirksdekan Georg Franz: „Berührungspunkte gibt es hier vor Ort nicht, da die Brüder ein kontemplatives Leben in Abgeschiedenheit führen. Es war von vornherein auch nicht daran gedacht, dass sie zum Beispiel seelsorglich in unseren Gemeinden aktiv werden.“
Das bestätigt auch der priesterliche Mitarbeiter der neuen Großpfarrei Geisenheim-Rüdesheim-Lorch, Konrad Perabo, der sich allerdings vorstellen kann, dass die Mönche, wie bei der Wallfahrt an Himmelfahrt, in die Gottesdienste in der Klosterkirche eingebunden werden. „Ich finde es wichtig, dass sie dazugehören“, versichert er. „Klöster sind die Orte in unserer Pfarrei, die die Seelsorge mittragen und einen wichtigen Dienst tun.“
Die Wallfahrtskirche steht allen Gläubigen und Pilgern offen, doch die vietnamesischen Zisterzienser sind dort die meiste Zeit, unter sich. Wer die Kirche betritt, darf auch den Gottesdiensten und Gebeten beiwohnen. Einer der Priester spielt die Orgel, und ihre Lieder und ihre Gebete singen und sprechen sie in vietnamesischer Sprache. Wenn sie mit dem Rosenkranz anfangen, wechseln sie in die deutsche Sprache, wie sie es inzwischen von ihrem Lehrer gelernt haben: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde …“
Die vier Priester und die beiden Laienbrüder kommen aus der Abtei Chau Son in der Provinz Lam Dong im Süden Vietnams. In diesem Sommer sollen noch sechs weitere Brüder aus Vietnam dazukommen. In ihrer neuen Niederlassung im Rheingau wollen sie beten und arbeiten, erklärt Prior Pater Joseph Hai Tran Thanh. „In unserer Mutterabtei in Vietnam pflanzen wir Gemüse an, vielleicht machen wir das hier später auch.“ Die Unterhaltung auf Deutsch ist noch ein wenig mühsam. Prior Pater Joseph hofft dennoch, dass es in Zukunft mehr Kontakt zu den Menschen im Rheingau gibt. „Wenn wir besser Deutsch sprechen“, merkt er lächelnd an. „Und wir freuen uns, dass wir am 20. August mit Zisterziensern aus ganz Deutschland im Kloster Eberbach zusammenkommen.“
Das Kloster Nothgottes
Nach einer Legende soll ein Bauer beim Pflügen auf dem Anwesen der Ritter Brömser von Rüdesheim das Gnadenbild des Blut schwitzenden Jesus gefunden und den Ruf „Noth Gottes“ vernommen haben, woraufhin die Ritter Brömser 1390 an dieser Stelle eine Kapelle errichten ließen. Im 15. Jahrhundert wurde die Kirche zur Wallfahrtskirche erweitert. 1620 wurde neben der Kirche eine Klosteranlage gebaut, die bis zur Säkularisierung 1813 von den Kapuzinern geführt wurde. Nach wechselnden Haus- und Ordensgemeinschaften war das das ehemalige Kloster bis 2006 ein Bildungshaus des Bistums Limburg. Von 2006 bis 2012 wurde das Kloster von der Gemeinschaft der Seligpreisungen bewohnt.
Herkunft Vietnam
Von den rund 92 Millionen Einwohnern Vietnams bekennt sich die Mehrheit zu keiner Religion. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sind 20 Millionen Buddhisten, sechs Millionen Katholiken und eine Million Protestanten. Seit 1918 leben Zisterzienser in Vietnam. Damals gründete ein französischer Priester der Missions Étrangères aus Paris, Pater Denis, in der Region Quang Tri im Zentrum des Landes das Kloster Phuoc Son. Heute leben in Vietnam nahezu 1.000 Zisterzienserinnen und Zisterzienser in neun Männerklöstern und zwei Frauenklöstern.